Onye Ocha! Onye Ocha!


„Onye Ocha! Onye Ocha!“ (dt. Weiße Menschen! Weiße Menschen!) schrien uns die Menschen zu, als wir nach der anstrengenden und langen Anreise endlich im Bus zu unserem endgültigen Ziel, dem kleinen Dorf Umunohu, mitten im nigerianischen Busch saßen. Ohne wirklich zu wissen, was uns genau erwartet, fuhren wir hinaus aus der Stadt Port Harcourt, mit dem für österreichische Verhältnisse chaotischen Flughafen. Schon auf dieser Strecke bekamen wir viele Eindrücke vom Land und über das Leben der Menschen. Die Dörfer wirken total belebt und lebendig, das Leben der Menschen scheint sich zu einem großen Teil auf der Straße abzuspielen! Danach wieder die Unweiten des afrikanischen Regenwaldes – links und rechts nichts als Dschungel! Schon bald nach der Großstadt endete vorerst einmal die Asphaltstraße und so fuhren wir auf einer braunen, rumpeligen Fahrbahn beinahe im Schritttempo weiter. Anfangs schreckte sich bei jedem Schlagloch noch irgendjemand, doch das kostete dem Chauffeur nur einen Grinser. Schon jetzt hatten wir das Gefühl, in eine völlig andere Welt eingetaucht zu sein. Spannend! Als wir gegen Mittag dann im Hof von Emekas Eltern ankamen, wurden wir von singenden und tanzenden Menschen überrascht. Wir haben mit einigem gerechnet, aber dass wir mit so einer unbeschreiblichen Freude und Herzlichkeit in Empfang genommen werden, hätten wir nicht gedacht! Die gesamte Menge sang scheinbar spontan verschiedene Melodien und bewegte sich dazu im Rhythmus. Und mitten darin standen wir gehemmten Europäer, überwältigt von der Offenheit der Menschen. Hier wurde uns das erste Mal richtig bewusst, an was es uns Weißen fehlt. Es war ganz einfach unglaublich, so etwas miterleben zu dürfen! Besonders in Erinnerung habe ich noch, dass Leute zu uns hergekommen sind und ganz einfach „Thank You“ gesagt haben, ohne dass uns wirklich bewusst war, wofür sie sich eigentlich bedankten. 

Danach erlebten wir gleich einmal was „Wolkenbruch“ in den Tropen bedeutet. Hier standen wir nun, unter dem Dach des Eingangstores, umringt von Kindern und Regentropfen, am scheinbar anderen Ende der Welt. Innerhalb kürzester Zeit schüttete es solche Wassermassen, dass wir sogar die 30 Meter zurück zum Haus mit dem Auto fahren mussten! Als wir nach einer Weile schließlich zu unserem Spaziergang aufbrachen, liefen uns sofort wieder leuchtende Kinderaugen entgegen, die uns alle an den Händen nahmen und uns berühren wollten. Wer Berührungsängste hat, ist hier fehl am Platz und sollte lieber zuhause bleiben, denn die Kinder begleiteten uns immer und überall hin, wenn wir raus gingen. 

Ein anderes unbeschreibliches Erlebnis war der Besuch des Wochenmarktes. Nachdem die Securities ausstiegen und uns den Weg frei machten, wagten auch wir uns aus dem Bus. Plötzlich waren alle Augen auf uns gerichtet. Menschen legten aus Neugier ihre Arbeit beiseite – standen auf – winkten uns – schrien uns „Welcome! Welcome“  und „Onye Ocha! Onye Ocha!“ zu. Es war eine Erfahrung, die man ganz einfach selbst erleben muss, da sie zu komplex ist, um diese Eindrücke zu beschreiben. Der Markt selbst sieht genau wie im Film aus: Menschen sitzen zwischen ihren frischen Obstsorten und exotischen Gewürzen – plaudern und verhandeln miteinander. Angeboten wird so ziemlich alles, was für’s tägliche Leben notwendig ist.

Als wir am Sonntag die Heilige Messe mitfeiern durften, wurde wieder einmal deutlich, von welch einer Freude, Herzlichkeit und Lockerheit die nigerianische Mentalität geprägt ist. Schnell wird man angesteckt vom afrikanischen Trommelklang und von den fröhlichen Liedern und traditionellen Tänzen der Kindergruppe. Generell ist die Messe viel lockerer und mitreißender als bei uns – es stört niemanden, wenn man dazwischen aufsteht oder Fotos macht. Es werden sogar CDs verkauft und während dem Opfergang Zeitungen gelesen! 

Die Menschen scheinen ihren Glauben wirklich ernst zu nehmen, daran wird man nicht nur bei dieser Sonntagsfeier, sondern auch im Alltag stets erinnert. Bei jeder passenden Gelegenheit wird ein Segen oder ein Gebet ausgesprochen. Auch der Zusammenhalt zwischen den Menschen und Familien scheint hier viel besser zu funktionieren, was aus Emekas Erzählungen auch immer wieder hervorging. Man hat auch das Gefühl, als würden die Einheimischen hier viel mehr in Gemeinschaft leben, was bei uns heute schon eher unüblich ist.

Am Sonntag war auch der Tag der Geschenkestraße. Ca. 1000 Kinder versammelten sich im Hof und warteten gespannt auf die mitgebrachten kleinen Geschenke, wie z. B. Kugelschreiber oder Kappen, die wir schließlich an die Kinder verteilten. Das Gefühl dabei war einerseits sehr positiv, den Kindern eine kleine Freude zu bereiten, andererseits wiederum ging es sich nur ziemlich knapp aus mit den Geschenken, und wir waren unendlich traurig, denn man hätte so gerne mehr gegeben. Einige Kinder blieben noch nach dieser Aktion im Hof. Wir bildeten mit ihnen einen riesigen Kreis und spielten und tanzten mit ihnen gemeinsam bis es schließlich schon finster war. Für uns war das die beste Medizin und die Kinder zauberten uns so ganz schnell wieder ein Lächeln ins Gesicht!

Wir hatten noch so viele andere eindrucksvolle Erlebnisse, doch jetzt alle genau zu beschreiben, würde den Rahmen hier sprengen z. B. der interessante Besuch beim Bischof von Owerri,  der Besuch beim Medizinmann von Umunohu, die Besichtigung der Baustelle des zukünftigen Schulprojektes, der festliche Empfang beim Chief des Nachbarbezirkes oder der berührende Besuch eines blinden Mannes, der sich so sehr freute, weil wir ihm einfach nur einige Lieder vorsangen…..

Ein wichtiges Treffen möchten wir aber auf keinen Fall unerwähnt lassen -  Emeka ermöglichte es uns, einen Tag mit unserem Patenkind zu verbringen! Wir konnten unser kleines Geschenk persönlich überreichen und spielten, schauten uns Fotos an, malten und tanzten gemeinsam…… ein wunderschönes Erlebnis sowohl für unsere 9-jährige Chinwendu als auch für uns!

Im Hof der Familie Emeakaroha war immer etwas los, es war nie ruhig und leer. Immer waren unzählige Menschen, meist mit einem Anliegen, präsent. Aus diesem Grund fiel es uns umso schwerer, uns wieder an unser alltägliches, „normales“ Leben zuhause zu gewöhnen. 11 Tage erlebten wir die unbeschreiblichsten Dinge – manchmal unheimlich kurios, manchmal einfach berührend -  und dann plötzlich sind wir wieder zuhause…

Lieber Emeka, ein riesengroßes Dankeschön, dass du so eine Reise für uns bzw. bereits  für so viele andere Menschen möglich gemacht hast! Du organisierst fast rund um die Uhr, und trotzdem hattest du immer ein offenes Ohr für jeden einzelnen von uns und wenn das Anliegen auch noch so banal und unwichtig erschien. Deine positive und humorvolle Art während der gesamten Reise war wie Balsam für unsere Seele. Wir wünschen dir auch weiterhin viel Energie und Kraft für deine laufenden und zukünftigen Projekte!  Gottes Segen lieber Emeka! 

Familie Koch  (Lisa, Manuel, Elisabeth und Gerhard)/ Sept. 2016

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