Reisebericht Willi Zinsmeister

zur Fotogalerie [ Nigeriareise August 2008 ]

Nigeria

  • ein Land zwischen Tradition und Moderne
  • ein Land im Um- und Aufbruch
  • ein Land, das keinen Bürgerkrieg mehr will



Was haben wir erwartet?
Wir haben uns auf eine große Tour nach Afrika gemacht, ohne genau zu wissen und zu ahnen was uns erwartet. Wir haben uns aber auf offene und fröhliche Menschen „eingestellt“. Wir waren neugierig und wollten eine andere Kultur und andere Lebensverhältnisse kennen lernen. Wir waren gespannt auf die subtropischen Temperaturen, die Regenzeit und allerlei Kleingetier.

Was haben wir gesehen und erfahren?
Wir haben im Dorf Umunohu im Südosten von Nigeria, im Landesteil „Imo State“ mitten unter den Einheimischen gelebt und deren Mikrokosmos erfahren. Die Maxime des Zusammenlebens im Igbo-Land: Keiner ist alleine oder wird alleine gelassen – irgendjemand ist immer da! durften wir live erleben.

Bei unserer Ankunft wurden wir sehr herzlich mit Freudentänzen empfangen und waren sofort in die Gemeinschaft aufgenommen. Diese Offenheit und Herzlichkeit haben wir in der Zeit unseres Aufenthaltes bei allen Leuten im Dorf sowie auch bei verschiedenen Begegnungen z. B. mit Palmöl- und Palmweinbauer, Ziegen- und Schweinebauer und deren Familien erfahren.

Überschwängliche Freude brachten die Tänze in den Gottesdiensten, bei einer traditionellen Hochzeit und bei diverse Kulturfeier zum Ausdruck. Leuchtende Kinderaugen gab es allerorten sowohl bei einfachen gemeinsamen Spaziergängen singend und tanzend durch das Dorf, als auch bei der Begegnung mit unseren Patenkindern.

Traurig waren wir bei den Anblicken behinderter und kranker Menschen, z.B. nach Schlaganfällen oder auch bei einem Fall mit Kinderlähmung. Hier erlebten wir aber dann unbändige Freudensausbrüche, nachdem wir Rollstühle übergeben hatten.

Nachdenklich machte uns die schlechte bzw. fast nicht vorhandene medizinische Versorgung. Das aus den 1980-iger Jahren stammende Spital hat fast keine medizinischen Geräte und Arzneimittel und auch keine Stromversorgung. Hier sieht man den größten Mangel in Nigeria, nämlich die fehlende Nachhaltigkeit bei öffentlichen Einrichtungen genauso wie bei den Straßen oder auch Schulen: Eine Erhaltung bzw. Verbesserung der Verhältnisse ist ein Fremdwort in Nigeria. Man kann und darf natürlich hier nicht unsere westlichen Standards 1:1 umsetzen, aber dennoch soll zumindest angefangen werden, sukzessive eine Bewußtseinsmachung und in der Folge eine Bewußtseinsänderung herbeizuführen.

Da die Landesregierung zu einer Zusammenarbeit mit Emeakaroha Stiftung bei der Instandsetzung des Spitals nicht bereit ist, ist es nur zu begrüßen, wenn Emeka demnächst die Planung eines Spitals in Angriff nimmt. Dies wird eine große Aufgabe werden und wir wünschen Emeka schon heute viel Unterstützung dabei!

Während unseres Aufenthaltes konnten zwei angemietete Räume für den Start eines Berufsbildungszentrums (zuerst für acht Schneiderlehrlinge) besichtigt werden. Diese Notwendigkeit ist auch aus Gesprächen im Rahmen unserer Begegnungen mit den Ortsvorstehern der einzelnen Ortsteile hervorgegangen. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen nach der Schule Perspektiven haben. Die zukünftige Ausbildungsleiterin hat uns ihre Qualitäten mit von ihr genähten Kleidern bereits gezeigt.

Ein Großteil der Bevölkerung auf dem Land lebt als Selbstversorger. Die erzeugten Produkte werden auf dem täglichen Markt verkauft bzw. gekauft, so dass in gewissem Umfang eine Art Tauschhandel entsteht. Die herrschende hohe Inflation tut ihr übriges, so dass sich Lebensmittel und Treibstoffe (vor allem für Stromaggregate) im letzten Jahr sehr verteuert haben. Dies bekommt jede Familie zu spüren.

Der Aufbau von Betrieben (z. B. Steinbruchbetriebe) gestaltet sich finanziell schwierig, da es vor Ort keine Bank zum Ausleihen von Krediten als Überbrückungsfinanzierung oder als Grundfinanzierung, z.B. Kleinkredite gibt. Bei einem Besuch im Steinbruch klagte ein Steinbruchbesitzer über das Preisdumping, dem er als einzelner gegenüber den Bauleitern ausgesetzt ist. Abhilfe könnte z. B. ein Zusammenschluss von mehreren Steinbruchbetrieben zu einer Union bei Preisverhandlungen schaffen.

Hier stellt sich die Frage, inwieweit ein Auf- bzw. Umbruch von der Regierung als auch vom Volk selbst gewünscht wird und sinnvoll ist.

Wir haben den Kontrast zwischen Tradition (Gastfreundschaft, Stellung der Frauen in der Gesellschaft, Wichtigkeit der traditionellen Riten, z.B. Übergabe der Kolanuss bei jedem Treffen, absoluter Gehorsam der Kinder) und Moderne (es gibt bereits einige Handys und Motorräder im Dorf) erlebt.

Afrika wird als ein Land gesehen, in dem immer wieder Bürgerkriege in den verschiedenen Landesteilen stattfinden. Wir haben erfahren, dass speziell in Nigeria die Nachwehen des sog. „Biafrakrieges“ noch so im Gedächtnis vorhanden sind, so dass die Bevölkerung unter allen Umständen vermeiden will, wieder einen Bürgerkrieg zur „Lösung“ von Problemen zu beginnen!

Die wichtigste Person für das Gelingen unserer Kulturreise war und ist Emeka!!! Mit seinem Elan, Organisationsgeschick und phänomenaler Herzlichkeit hatte er alles im Griff. Er hatte auch ein uns prägendes Wort bereit gehabt: „… wenn er sich dabei wohlfühlt!“

Emekas Einsatz findet noch eine Steigerung darin, wie er jeden Tag die verschiedensten Anliegen von mehreren Dorfbewohnern, die an ihn persönlich herangetragen werden, aufnimmt und versucht, eine Lösung herbeizuführen. Hier fällt uns folgendes Bibelzitat ein: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Emeka gebührt unendlicher Dank und Anerkennung für sein Engagement!

Sehr wichtig für das Gelingen unserer Kulturreise waren auch das sehr gute und abwechslungsreiche Essen sowie die gute Unterkunft und angenehme Atmosphäre bei der Familie Emeakaroha.

Daneben hat sich eine gute Freundschaft nicht nur mit den Einheimischen, sondern auch zwischen den Reiseteilnehmern aus Österreich und Bayern entwickelt. Dazu hat vor allem das gemeinsame Singen beigetragen. Denn Musik überwindet Barrieren, steckt an und verbindet auch wenn man die Sprache (Igbo) nicht versteht. Dies hat sich in Gottesdiensten sowie bei Begegnungen mit verschiedenen Gruppen (z. B. Dorfbewohner, Klosterschwestern, Bischof und Onkel Edi aus Amerika) gezeigt.

Was bleibt?
Es bleibt die Erinnerung an unvergessliche Tage, die einerseits unseren Horizont erweitert und uns andererseits Begegnungen mit sehr einfach lebenden, aber besonders herzlichen Menschen gebracht haben. Nigeria ist auf alle Fälle eine Reise wert! Es bleibt eine unausgesprochene angenehme Freundschaft zwischen den Reiseteilnehmern.

Was kann man tun?
Hier kommen natürlich Gedanken an eine „Entwicklungshilfe“. Was kann/ soll/darf/muss man in der Zukunft tun oder besser sein lassen? Grundvoraussetzung ist, die Lebensverhältnisse vor Ort ohne Vorurteile anzusehen und auf einen wirken zu lassen. Dann sollte man sich die Frage stellen, ob die Menschen (nach unseren westlichen Vorstellungen) dies oder das überhaupt wollen oder unbedingt brauchen.

Man kann die Sache nur differenziert betrachten und dementsprechend gibt es nicht die „eine“ Lösung. Zuerst sollten die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden. Kleinbauern, die Selbstversorger sind, kann man nicht mit Rodungen ihrer Existenzgrundlage berauben. Maschineneinsatz ist grundsätzlich zu befürworten, jedoch nur für Flächen, die entsprechend „frei“ und in vernünftiger Größe verfügbar sind. Die Wassermengen in der Regenzeit sind zu beachten, da sie bei evtl. Rodungen nicht mehr „natürlich“ versickern könnten.

Bei allen möglichen Veränderungsprozessen muss man auf alle Fälle die traditionellen Gegebenheiten in den verschiedensten Lebensumständen mit in die Überlegungen einbeziehen. Man kann niemanden einfach etwas – auch mit guten Absichten – überstülpen bzw. jemanden bevormunden. Man sollte die Leute informieren, aufklären und bei Änderungsversuchen mitnehmen. Die Menschen vor Ort und die Regierung des Landes müssen etwaige Veränderungen aus Überzeugung wollen, damit für die Zukunft auch die erforderliche Nachhaltigkeit gewährleistet wird.

Was wünschen wir:
Wir wünschen dem Land Nigeria in seinem Entwicklungsprozess ein weitsichtiges Handeln der Regierenden und ein aktives, aufgeschlossenes Miteinander der Menschen.

Wir wünschen Emeka Kraft, Ausdauer und Gottes Segen für sein Wirken in seinem Heimatland.

Johanna und Willi Zinsmeister

Lippertshofen, im August 2008